Franz Beckenbauer, Wiedervereinigung und Sterne

Mario Spaniel

 


Leipzig ist 1989 die Stadt, in der die friedliche Revolution ihren Anfang nimmt. Hier wird das Ende der DDR „besiegelt“ – die Friedensgebete in der Nikolaikirche sind ein Meilenstein im politischen Umbruch des Jahres. Mario Spaniel ist in Leipzig geboren und erlebt die Stimmung und die besondere Atmosphäre als junger Mensch hautnah mit. „Ich habe am 1. September 1988, also fast genau ein Jahr vor dem Mauerfall, im Gästehaus des Ministerrats der DDR meine Ausbildung zum Restaurantfachmann begonnen“, erzählt der heutige Spartenleiter der STERNAUTO Gruppe und Centermanager von STERNAUTO in Magdeburg. Das Gästehaus diente als „gesicherte Herberge für die Mitglieder des Politbüros der DDR und deren Staatsgästen aus dem Ausland“ und war vor allem zu Messezeiten stark frequentiert. „Leipzig habe ich gerade zu dieser Zeit als sehr weltoffen wahrgenommen.“ Aber da war auch diese unerträglich „Eingesperrtheit“, fehlende Meinungsfreiheit, sichtbare Umweltbelastung und die unbefriedigende Wohnungssituation, die letztendlich in Protesten und einer Massenflucht mündete. „Es war klar: Für diejenigen, die dageblieben sind, konnte es so nicht weitergehen.“ Auch Mario Spaniel und seine Freunde gehen auf die Straße und schlossen sich den friedlichen Montagsdemonstrationen an.

Seine Ausbildung absolvierte er in der turbulenten und spannenden Wendezeit. 

An den 3. Oktober 1990 erinnert er sich noch gut. „Wir haben erst zu Hause vor dem Fernseher gesessen. Um Mitternacht gab es dann überall Feuerwerk - deutlich mehr als zu Silvester.“ 

Das Gästehaus wird ein öffentliches Hotel und Mario Spaniel wird als Barkeeper am 4. Oktober 1990 zum Angestellten des Bundesfinanzministeriums und dessen Vermögensamt. „Ich hatte wohl die spannendsten 1990er und 91er Jahre, die man als nicht einmal zwanzigjähriger so haben kann.“ Sein größtes Erlebnis ereignete sich 1991 nach dem Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft. „Da saß plötzlich Franz Beckenbauer ganz allein bei mir an der Hotelbar. Und wir haben uns darüber unterhalten, wie er mit dem Stress seiner Berühmtheit als neuer deutscher Volksheld umgeht.“ 

Anfang 1992 startet Mario Spaniel seine Karriere in der damaligen Daimler Benz AG. Er lässt sich zum Automobilverkäufer ausbilden und später innerbetrieblich zum Betriebswirt. Zu Beginn des Jahres 2000 verlässt er seine Geburtsstadt Leipzig und geht mit seiner Frau, den drei Kindern und dem Hund nach Reutlingen in Baden-Württemberg, um seine erste Führungsposition bei Mercedes-Benz anzutreten. Weitere Umzüge nach Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt folgen. 2012 kommt Familie Spaniel nach Magdeburg. Ihre Begeisterung hält sich zunächst beim ersten Eindruck in Grenzen. „Wenn man von der Autobahn A2 in die Stadt reinfährt, siehst du erstmal nur Plattenbauten“, sagt Mario Spaniel. „Doch ich kann sagen, dass wir uns auf den zweiten Blick in Magdeburg verliebt haben.“ Drei Jahre sollte er bleiben – heute ist er immer noch da, fühlt sich als „Teil dieser Stadt“. Magdeburg ist wie ein „ungeschliffener Diamant“ und gerade die mit Magdeburg verbundenen sportlichen Erfolge lässt sie nach außen strahlen. „Standortwechsel gehören in meinem Job dazu, aber ich bin nie gependelt. Wir sind als Familie immer gemeinsam umgezogen und mussten uns in wechselnden Lebens- und Wirtschaftsräumen immer neu erfinden.“ In Magdeburg blickt das Ehepaar Spaniel in diesem Jahr auf 30 Ehejahre zurück. „Wir könnten aktuell kaum glücklicher sein.“ 

Mario Spaniel, dessen Traum einmal die gastronomische Selbstständigkeit gewesen ist, trägt heute die Verantwortung für das PKW-Neufahrzeuggeschäft der STERNAUTO Gruppe und ist Centermanager für die Standorte in Magdeburg und Burg. Zwischen 2013 und 2022 habe es seiner Einschätzung nach eine „starke wirtschaftliche Phase“ in Magdeburg gegeben, vor allem im Bauwesen. „Eigenheimsiedlungen sind neu entstanden, auch im Hochbau ist viel passiert. Das hat das Gesicht der Stadt positiv verändert.“ 

Betrachtet er das Zeitfenster vom Franz Beckenbauer-Moment bis heute, so ist die Wiedervereinigung von Ost und West zumindest für seine eigene Generation noch nicht vollzogen. „Das ist in den Köpfen immer noch getrennt“, sagt er. Jüngere Menschen würden aber ihren Beitrag zum Zusammenwachsen leisten, betrachtet man die hohe Attraktivität als Bildungsstandort. Der Stadt Magdeburg wünscht er, mehr Industrie Investitionen in Hochqualifizierten Arbeitsplätze. Die wachsenden Logistikhallen rund um die A2 und A14 zeigen die Dynamik der Stadt. Dennoch „Wir müssen uns als Landeshauptstadt breiter aufstellen“, wünscht sich Mario Spaniel. „Auch, wenn natürlich die Lage im Herzen Deutschlands ganz großartig und ein großer Vorteil ist.“ 


Für eine weltoffene Gesellschaft

Cornelia Habisch

 

„Meine Familie war von der Teilung betroffen. Mein Vater stammt aus Oberschlesien. Als Soldat verschlug es ihn in die Lüneburger Heide. Ein Bruder lebte weiter in Polen, eine Schwester in Magdeburg. 1989 studierte ich in Hannover.“ Die Maueröffnung verfolgte Habisch gebannt vor dem Fernseher: „Das war ein einschneidender Tag für mich. Man wusste, dass sich jetzt alles verändern wird in Deutschland.“ Als damalige Pressesprecherin für die niedersächsischen Grünen erinnert sie sich gut an den Oktober 1990: „Da war Bundestagswahlkampf für die erste gemeinsame Wahl im Dezember. Ich freute mich, dass sich nun alles öffnete. Kurz zuvor war ich mit meinem Vater in seine schlesische Heimatstadt gefahren, jetzt wurde das einfacher.“ Magdeburg begegnete sie erstmals Anfang der 90er. „Ich sah das alles mit großen Augen. Man spürte, dass viele Dinge fehlten. Die Gründerzeithäuser, heute wunderschön saniert, verfielen. Ich verstehe, dass die DDR den Schwerpunkt im Sinne der Menschen auf den Neubau legte, aber der Zustand der alten Häuser war traurig. Materiell war das eine Mangelgesellschaft; das berichteten auch alle, die ich beim Besuch traf.“

Ende 1994 kam das Angebot als Referentin ins Umweltministerium nach Magdeburg zu kommen. „Nach acht Jahren in Niedersachsen sagte ich gerne zu. Mein Mann und ich hatten das Gefühl, die neuen Bundesländer sind nun der interessante Teil Deutschlands. Natürlich sahen wir, dass die Transformationsprozesse auch Schmerzen bedeuteten. Viele Menschen verloren ihre Jobs.“ Habisch plante von Anfang an, zu kommen um zu bleiben: „Den Osten als Karrieresprungbrett, wo man für ein paar Jahre hingeht, das fand ich damals schon ein bisschen unehrenhaft als Lebensplan. Ich wollte mitgestalten, ohne mich in den Vordergrund zu drängen. Dann kam auch schnell meine Tochter; und wo man ein Kind bekommt, da ist das Zuhause. In dieser Hinsicht war die hervorragende Kinderbetreuung ein Glücksfall für mich, meine Tochter fühlte sich da pudelwohl. Die gute Ganztagsbetreuung in Kita und Schulhort machte diese Region viel attraktiver als den Westen.“

2002 fängt die Politikberaterin bei der Landeszentrale für politische Bildung an. „Der Auftrag hier ist Bildungsarbeit. Wir erklären die Funktionsweise der Demokratie und motivieren fürs Mitmachen in einer freien Gesellschaft. Das ist eine dankbare Aufgabe, aus unseren Schulprojekten kommen engagierte junge Menschen.“ Leider macht die Polarisierung der Gesellschaft auch vor ihrer Behörde nicht halt. „Im Internet erhalten wir auch hässliche Rückmeldungen auf Geschichtsprojekte. Wenn man zu Extremismus arbeitet, bekommt man auch Anfeindungen. Ich musst lernen, damit umzugehen.

Die Stadt Magdeburg hat sich in den 30 Jahren meines Hierseins wunderbar verändert. Nun strahlt alles; auch die Elbe ist heute attraktiv. Aus den Brachen am Schleinufer wurden das moderne Wohnviertel und die Flaniermeile mit Gastronomie. Wenn ich von Stadtfeld zum Stadtpark laufe, gehe ich durchweg durch schönen Gegenden - das war 1995 anders. Auch Gäste sagen: Magdeburg wird von Jahr zu Jahr schöner.“ Die Erschließung von Industriebrachen habe wunderbar funktioniert, findet Habisch: „Nie bereute ich, nach Magdeburg zu ziehen. Ich habe hier ein starkes Heimatgefühl. Nach 30 Jahren hier, kann ich mich ja kaum mehr als Westdeutsche bezeichnen. Freilich war die Diskussion zwischen Ost- und Westdeutschen wohl schon mal weiter und entspannter als in der letzten Zeit.“ Doch hält sie die Vereinigung und den Umbruch für einen großen Glücksfall, gerade auch für Osteuropa. „Wäre die Wende nicht gekommen, wäre das ein großer Verlust für alle. Deutschland halte ich für ein vereintes Land. Die Lebensbedingungen haben sich verbessert. Heute findet man Arbeits- und Ausbildungsplätze, das war in den 90ern anders. Magdeburg ist ein attraktiver Standort und dem Ziel der Weltoffenheit kommt sie immer näher“