Hochleistung auf der ganzen Linie
Marén Schulz
Nach dem Mauerfall am 9. November 1989 macht sich in Marén Schulz zunächst Unsicherheit breit. Unerwartet und zu plötzlich gehört die innerdeutsche Grenze damals der Vergangenheit an. „Ich war in meiner Heimatstadt Potsdam. Einige meiner Freunde sind nach der Nachricht über den Mauerfall gleich losgefahren. Die meisten in Richtung Berlin“, erinnert sich die Betriebswirtin und derzeitige Standortleiterin von Bosch Service Solutions in Magdeburg. „Ich habe mich nicht getraut. Ich hatte Angst, dass ich nicht zurückkomme. Ich war alles andere als mutig.“ Mit dem Vokabular von heute eingeordnet, dachte Marén Schulz wie so viele andere an Fake News. „Dann sah ich die ersten Bilder und ich habe gedacht: Es stimmt. Dies ist nun auch ein Teil unseres Lebens.“ Gut ein Jahr später, am 3. Oktober 1990, liegen hinter Marén Schulz und ihrer Familie einige Besuche im Westen Deutschlands, wo ein Teil der Familie lebt. „Wir hatten immer Kontakt. Jeder hat versucht, seine Welt zu finden. Die einen in der DDR, die anderen in der BRD.“
Ursprünglich einem Architekturstudium in Kombination mit Sport und der Armee sehr zugetan, muss sich Marén Schulz nach der Wende neu ordnen. Berufsoffizierin wollte sie werden, sie war eine erfolgreiche Sportschützin. „Ich hatte einen Plan, aber dann ist mir das Konzept verlorengegangen“ blickt sie heute zurück. Wie sollte es also weitergehen? „Eine große Herausforderung“, sagt sie. „Ich habe mich auf Jura, BWL und Architektur in unterschiedlichen Städten beworben.“ Es kostete einige Zeit. Dann muss sie sich entscheiden: BWL in Magdeburg oder Jura in dem ihr so vertrauten Potsdam? „1992 bin ich nach Magdeburg gekommen“, verrät sie mit einem Schmunzeln im Gesicht. „Die Uni hat mir gut gefallen, auch wenn die Stadt damals eher in einem schwierigen Zustand war. Doch es gab einen Fluss und das mag ich.“ Marén Schulz studiert BWL und Sportpädagogik, wechselt die Sportart zu Volleyball, lernt ihren Mann beim Studium kennen und bekommt mit ihm eine Tochter. „Er ist gebürtiger Magdeburger und es war im Grunde klar, dass wir bleiben.“ Ihren heutigen Lebensmittelpunkt hat die Familie im Stadtteil Ottersleben.
Als die Tochter aus dem Gröbsten raus und gut versorgt ist, bewirbt sich Marén Schulz bei Bosch auf eine Teilzeitstelle. Die erste Sprosse ihrer Karriereleiter, die sie von diesem Tag an fokussiert und motiviert nach oben klettert. Aufgrund ihres Studiums wird sie für das international tätige Unternehmen als Führungskraft interessant. „Bosch ist gewachsen und ich mit. Irgendwann habe ich nicht mehr nach außen geguckt. Ich habe mich hier gesehen und sehr wohl gefühlt.“ Sie arbeitet auf der ganzen Welt, ist vier Jahre im Headquarter in Frankfurt am Main und wächst an und mit ihren Aufgaben. „Ich habe damals mit Handschlag darauf bestanden, dass es zurückgeht – zurück nach Magdeburg.“ Seit 2017 leitet sie den Standort Magdeburg der Bosch Service Solutions GmbH mit rund 1250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Für die leidenschaftliche Sportlerin ist es zudem eine Herzensangelegenheit, sich ehrenamtlich im Volleyball-Nachwuchsbereich des Vereins WSG Reform zu engagieren. „Ich bin B-Trainerin Beach- und Hallenvolleyball und ich gehe voll und ganz in dieser Basisarbeit auf.“ Die Motivation sei trotz des herausfordernden Jobs immer da, sagt die selbsternannte „Verbesserungsfanatikerin“.
Lange, so berichtet sie, habe sie sich noch als Potsdamerin gefühlt. „Meine Eltern sind noch da.“ Doch Marén Schulz trägt längst Dom und Elbe in sich, sie kann hier auf ein starkes privates und berufliches Netzwerk setzen. „Ich bin jetzt die absolute Magdeburgerin.“ Radeln ihr Mann und sie durch die Stadt, erfreut sie sich an dem, was neu entsteht oder erhalten wird. „Die Stadt brauchte nach 1990 auch ein neues Konzept, genau wie ich. Ich denke, wir haben’s beide geschafft.“
Die Stadt Magdeburg und der Mensch Marén Schulz sind längst glücklich vereint – Deutschland ist es aus ihrer Sicht noch nicht gänzlich. „Jeder muss sich fragen, welchen Beitrag er dazu leisten kann“, sagt sie. Sie ist sich sicher: „Wir können den Wandel. Wir haben schon viele Ärmel hochgekrempelt.“
Vom Schwarzwald an die Elbe
Klemens Gutmann
Als Deutschland feiert, dass die Mauer fällt, ist Klemens Gutmann weit von der Elbe entfernt. Nie im Leben wäre ihm im November 1989 in den Sinn gekommen, dass er 36 Jahre später sagen würde: „Meine Heimat ist in Magdeburg“. Heute sagt er das mit voller Überzeugung. Über die Hälfte seines Lebens hat der im Schwarzwald geborene Unternehmer hier verbracht. „Der Gedanke, wieder wegzugehen, ist mir nie gekommen“, sagt Klemens Gutmann. Und wenn er über seine erste Zeit in der Elbestadt spricht, dann tut er das mit einem Schmunzeln: „Ich wurde hier quasi mit einer kraftvollen Umarmung wiedervereinigt.“ Der „manchmal herbe Charme der Menschen“ liegt dem Gründer und Vorstand von regiocom SE. „Sie haben mich damals mit offenen Armen aufgenommen.“ Damals – das ist Anfang der 1990er-Jahre. Eine „Serie von Ereignissen“, wie er sagt, bringt den selbsternannten Workaholic in die sachsen-anhaltische Landeshauptstadt. Im Gepäck: Lebenserfahrung und der Wille, Dinge einfach zu machen.
Als Klemens Gutmann neun Jahre alt ist, zieht die Familie nach Madrid. Spanien prägt und politisiert ihn. Als Jugendlicher demonstriert er für die Demokratie, als das Militär 1981 einen Putschversuch startet. Diese Zeit hinterlässt Spuren, ebenso wie der Wehrersatzdienst, der ihn in Den Haag mit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienst der evangelischen Kirche zusammenbringt. Später engagiert er sich in Flüchtlingslagern in Guatemala und El Salvador. Sein Studium finanziert er sich mit einem eigenen Weinhandel. Im Herbst 1988 reist er erstmals in die DDR – zur Ökumenischen Friedensdekade in Dresden.
Kurz darauf gerät vieles in Bewegung, auch sein eigenes Leben. Gemeinsam mit seinem Freund und Wegbegleiter Joan Dyckhoff-Schlieker sammelt er erste unternehmerische Erfahrungen mit einer eigenen IT-Firma. Er arbeitet am Fraunhofer-Institut in Karlsruhe, surft früh auf der Welle der New Economy. In Zeiten der Liberalisierung der Telekommunikation ist Gutmann mit seinem Gespür für Innovationen oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Ein erstes Ost-West-Forschungsprojekt 1993 und die Gründung der Teleport Sachsen-Anhalt GmbH werden zum Startpunkt seiner engen Verbindung zu Magdeburg. Das Land unterstützt die Idee eines regionalen Telekommunikationsdienstleisters. Was folgt, ist eine Erfolgsgeschichte: Mit Partnern gründet Gutmann in Magdeburg das Unternehmen, aus dem später der IT- und Servicedienstleister regiocom hervorgeht – heute einer der führenden Anbieter für Energiewirtschaft und Prozesse. So wird Gutmann zum Magdeburger. Für ihn zählt nicht Ost oder West, sondern das, was vor Ort bewegt werden kann. „Ich bin ein Anhänger der Regionalbetrachtung“, sagt er. „Da ist die Ost-West-Achse nur eine.“
Es ist kaum möglich, all seine Aktivitäten in der Region aufzuzählen. Ein kleiner Einblick: Über zehn Jahre lang agiert Klemens Gutmann als Präsident des Arbeitgeberverbandes Sachsen-Anhalt, engagiert sich in zahlreichen Verbänden und Institutionen. Er ist Honorarkonsul des Großherzogtums Luxemburg in Sachsen-Anhalt und Vorsitzender des Stiftungsrates der Ecole-Stiftung, Trägerin des Internationalen Gymnasiums und der Internationalen Grundschule Pierre Trudeau. Bildungspolitik liegt ihm besonders am Herzen: „Wir müssen heute dafür sorgen, dass es morgen hier gut weitergeht.“ Und Internationalität fördert er mit Nachdruck – sagt: „Magdeburg steht es gut zu Gesicht, noch internationaler zu werden.“ Er selbst spricht vier Sprachen fließend: neben Deutsch auch Englisch, Spanisch und Niederländisch. Dass er kein gebürtiger Magdeburger ist, hört man ihm vielleicht noch an – ebenso schnell wird klar: Klemens Gutmann hat sein Herz an die Elbestadt verloren. „Magdeburg ist toll“, sagt er. „Diese Stadt lebt einfach überall.“ Das gilt auch für ihn. Denn wer so fest mit einer Stadt verwurzelt ist, will nicht nur bleiben, der möchte auch gestalten. „Hier gibt es für mich noch viel zu tun“, sagt der Unternehmer. Und wer weiß, vielleicht entdeckt er mit seinem Boot, wenn hin und wieder Zeit für sein liebstes Hobby bleibt, auch die ein oder andere Ecke der Stadt ganz neu.